Wie der Adi am Dreikönigstag den Christbaum aufstellte

Wie der Adi am Dreikönigstag den Christbaum aufstellte

Er war ein Single. Das ist weiter nichts Besonderes. Er war Musiker. Da gibt es viele davon. Er war ein schrulliger Typ, viel allein und durch seinen Beruf — er war „Hofkapellmeister“ in der Pfarrei — an Traditionen im Woid gewöhnt. So ist es auch nichts Besonderes, dass er zu Weihnachten einen Christbaum aufstellen wollte, auch wenn vielleicht keine andere Seele ihn zu Gesicht bekommen würde. „A Christbaam, des ghört se einfach“, sagte er sich selber. Doch woher nehmen und nicht stehlen? Stehlen? — Es wär nicht der erste Baum, der im Wald stibitzt würde. Und Stehlen kann man das ja wohl nicht bezeichnen. Erstens stehen ja doch so viele Bäume unbeachtet am Zwieselberg rum, denen man vielleicht sogar einen Gefallen tut, wenn man sie vor dem Baumsterben, das in letzter Zeit sehr stark zugenommen hat, bewahrt. Und zweitens: Christbaumklauen ist ein Kavaliersdelikt, das darf man nicht so eng sehen. Und drittens: Wenn ich mir einen Baum kaufe, dann bleibt höchstens noch eine windschiefe Fichte, die nach zwei Tagen in der warmen Stube schon die Nadeln verliert, weil sie vielleicht schon wochenlang auf ihren Einsatz als Weihnachtsbaum gewartet hat. Und viertens: Es ist auch gesund, wenn ich etwas an die frische Luft gehe, und wenn ich dann einen passenden Baum sehe, tralala… Die Axt habe ich nur zufällig dabei….

Einen Tag vor Heilig Abend waren alle inneren Hemmungen überwunden, ein langer Mantel und dicke Handschuhe angelegt, die Axt wollte partout nicht aus dem Weg gehen, also hat er sie mitgenommen und ist scheinbar ziellos über die Straße an den letzten Häusern der Siedlung gegangen, die frische Luft genießend. Die Straße mündete in einen steilen Bergweg, der recht mühsam zu gehen war, schließlich ist ein halber Meter Neuschnee im Woid nichts Außergewöhnliches. Aber so viel lag nicht, denn seit ein paar Tagen war es zwar knüppelkalt, aber eben zu kalt, dass es erneut geschneit hätte. So knirschte der gefrorene Schnee unter seinen Tritten, der Atem bildete sofort einen Nebel um seinen Mund, und über ihm lag ein klarblauer Himmel, wie er eben nur in höheren Lagen strahlt. Vorbei an aufrechten Fichten und urwaldmäßigen Ästen, die den Weg versperrten und das Weiterkommen nur noch mühsamer machten, stets auf jedes Geräusch achtend, steuerte er direkt auf einen Baum zu, der wie geschaffen dafür schien, mit dem Adi das Weihnachtsfest zu teilen. Mit den behandschuhten Händen streifte er den Schnee von den Ästen, schüttelte das Bäumlein, dass er seinen ganzen Wuchs begutachten konnte, und kam zu dem Ergebnis, dass es eine Fügung des Schicksals sein müsste. Ein letztes Lauschen nach möglichen Gefahren, und schon hatte er die Axt angesetzt. Etwas unfachmännisch bearbeitete er den Stamm — seine Hände waren ja nicht daran gewöhnt, Bäume zu schlagen, höchstens die Tasten der Kirchenorgel — aber trotzdem ging es schnell, dass der Baum zu seinen Füßen lag.

An den Lärm, den sein Hacken machen würde, hatte er allerdings nicht gedacht. Als er fertig war, hörte er in seinem Ohr immer noch das Geräusch der Axt, und plötzlich kam es ihm: In dieser Landschaft, oberhalb der letzten Siedlungshäuser, musste man seine Freveltat hinabgehört haben, die Nachbarn würden schon tuscheln, was da oben los sei, und der Förster bzw. Besitzer des Waldes sei bestimmt schon auf dem Weg nach oben. Und tatsächlich: Adis musikalisch sensibles Ohr vernahm schon die ersten Schritte, es war ihm, als hörte er das Schnaufen eines zornigen Bergbauern, der mit einer Goasl, wenn nicht gar mit einem Gewehr den Berg herauflief. Adi ließ alles liegen und stehen und sauste den Weg, den er gekommen war, zurück — zaghaft immer wieder einen Blick zurückwerfend, ob ihm nicht jemand folgte, oder vorauswerfend, ob ihm nicht jemand den Weg versperrte. Aber alles ist gut gegangen, nicht einmal seine Spuren konnten ihn verraten. Das Dumme war nur: Morgen ist Heilig Abend, und Adi war von seiner Sehnsucht nach einem Christbaum kuriert. Fast.

Silvester kam.

Neujahr.

Frischer Neuschnee brachte Einheimischen und Urlaubern so richtige Winterstimmung. Und Adis Spuren waren wieder zugeschneit. Doch am Dreikönigstag packte es den Adi wieder. Kurz bevor es dunkel wurde, zog es ihn wieder hinauf auf den Berg, wie einen Verbrecher, der zum Ort seiner Untat zurückkehrt.

Vorbei an aufrechten Fichten und urwaldmäßigen Ästen, die den Weg versperrten und das Weiterkommen nur noch mühsamer machten, aber nicht mehr auf irgendwelche Geräusche achtend, steuerte er direkt auf die Stelle zu, die nun etwas lichter war, da der Baum, den er umgeschlagen hatte, nicht mehr da war. Das heißt, er stand nicht mehr. Aber als der Adi mit seinen Pelzschuhen den Schnee am Boden etwas zur Seite fegte, lag dort noch immer, wie bestellt, um abgeholt zu werden, Adis Christbaum.

Ein Glück, dass es nun schon ziemlich Nacht war, eigentlich Spätnachmittag, aber für den Adi genau die richtige Jahreszeit, um den Baum aus dem Schnee zu befreien und über den im Mondlicht glänzenden Schnee talwärts zu tragen. Ohne dass er jemandem begegnete, kam er zu Hause an, schleppte die Fichte auf seinen Balkon, bereitete Ständer und Christbaumschmuck her, schmückte den Weihnachtsbaum, wie er es aus seiner Kindheit gewohnt war, und feierte am Hl.-Drei-König-Tag Weihnachten.